Als ich anfing meine Kochbücher zu planen, waren nur wenige Parameter fix. Einer davon war, dass ich die Leser vom allgegenwärtigen Dosha-Korsett entkoppeln wollte. Das war etwas „ungewöhnlich“, denn die ayurvedische Ernährung im Westen basiert auf diesem System, das sich primär auf die Dosha-Konstitution des Essers konzentriert und daraus Empfehlungen ableitet. Die meisten Ayurvedakochbücher und viele Websites bieten eine Art Doshaquiz an, bei dem man mit ein paar Fragen seine Konstitution herausfinden soll, um danach anhand von Listen einen „Plan“ zu erhalten, was man essen soll und was nicht.
Für manche sind das tatsächlich hilfreiche Leitplanken. Viel zu oft höre ich jedoch, dass den interessierten Menschen das zu kompliziert wurde, oder dass man erst gar nicht anfing, diese Ernährung zu probieren, weil man ja nicht weiß, was für ein „Typ“ man ist. Oder dass die Lieblingsspeisen auf der „roten“ Liste standen statt auf der grünen.
Ayurvedis denken intuitiv
Zu Beginn meiner Studien in einer Ayurvedaklinik in Kerala fragte ich meinen damaligen Lehrer, in welchen Büchern ich denn diese Vorgehensweise und Listen nachlesen könne. Er kuckte mich mit großen Augen an und stellte irgendwann grinsend die Gegenfragen: warum wollen wir uns in Schubladen stecken, aus denen wir evtl. nie mehr herauskommen? Warum brauchen die Menschen aus dem Westen immer einen „Plan“ von einer externen Quelle, statt auf die innere Quelle, das Bauchgefühl zu hören oder der Intuition zu folgen? Wie kann ein „Quiz“ mit 10-20 Fragen an den Kern eines (ayurvedischen) Wesens vordringen? Vor allem, wenn man sich selbst „einschätzt“ und dabei allen subjektiven blinden Flecken in die Falle tappt. Und nein, eliminierende Listen, die ein Leben lang gelten, entsprechen nicht dem offenen Denken der alten indischen Weisen.
Bamm. Mein mühsam erlerntes ayurvedisches Weltbild war erstmal angezählt.
Im Laufe meiner Studien mit den Ursprungstexten über die folgenden Monate und Jahre durfte ich dann lernen, dass Ayurveda generell kein geradliniger Weg zu Gesundheit und Glück ist, sondern ein ordentlicher Slalomkurs mit vielen individuellen Ausnahmen und regionalen bzw. kulturellen Sonderfaktoren. Nebenbei erfordert es eine hohe Bereitschaft, immer wieder in sich hinein zu hören und eigenverantwortlich für sich zu entscheiden. Was am Anfang wie eine große Aufgabe klingt, wird realtiv schnell zur befreienden „zweiten Haut“.
Selbstverständlich ist das Wissen über die Einflüsse der Doshas auf unser Leben wichtig, das ganze Heilsystem ist darauf ausgerichtet. Aber in der Ernährung steht das nicht an allererster Stelle. Realisierbar wäre das im Singlehaushalt, aber schon bei Familien könnte es schwierig werden und wenn ich Gruppen mit 16+ Personen bekoche, ist es gänzlich unmöglich.
Ernährung im Einklang mit den Jahreszeiten
Kochbücher, mit denen ich mich sofort wohlfühle, sind fast alle nach Saisons gegliedert. Am konsequentesten macht das übrigens die Wiener Autorin Katharina Seiser für den Brandstätter Verlag. Somit war dies ein weiterer fixer Parameter in meiner Planung: die Kochbücher bilden die Jahreszeiten ab, da saisonale und damit oft regionale Produkte den momentanen Bedürfnissen der Menschen am ehesten entsprechen, leicht erhältlich und kostengünstig sind. Inspiriert haben mich dazu Dr. John Douillard aus Colorado und das Kochbuch von Divya Alter aus New York. Auch wenn man seinen Doshatyp nicht kennt, kann man sich mit diesem Prinzip prima durchs Jahr kochen und eine naturinduzierte Balance ermöglichen.
Das ayurvedische Prinzip dahinter: Menschen, die sich über ihre Ernährungs- und Lebensweise mit dem Rhythmus der Natur verbinden, sind in der Regel mit guter Gesundheit gesegnet. Lebt und ernährt man sich gegen diesen Rhythmus, z.B. kühlende Nahrung im Winter, trockene im Herbst, feuriges im Sommer, Zucchini im Dezember, Kürbis im April, Essen zu später Stunde, folgt daraus irgendwann ein Ungleichgewicht, das sich zur Krankheit ausweiten kann.
Ein spannendes Detail: Die ayurvedischen Saisons decken sich nicht 1:1 mit unseren vier Jahreszeiten. Das System kennt 6 Jahreszeiten inkl. Regenzeit, was jedoch nicht überall auf der Welt die regionalen Gegebenheiten abbildet.
Für unsere mitteleuropäische Region hat sich die Einteilung in 3 Saisons als Richtlinie bewährt. Dabei entsprechen die Saisons den Elementen und Doshas, die in bestimmten Monaten dominieren. Von Anfang Februar bis Juni sind die Elemente Erde und Wasser dominant (Kaphazeit), sie ermöglichen das Wiedererwachen der Natur nach dem Winter. Ab Mitte Juni bis Anfang Oktober erleben wir das Feuerelement (Pittazeit) durch sommerliche Temperaturen und frühherbstliche Fülle. Mitte Oktober folgt das Luftelement (Vatazeit), das durch Herbststürme und meist trocken-kalte Wintertage bis in den Februar die Natur im Rückzug hält.
Die Übergänge sind dabei fließend, manche Obst- und Gemüsesorten sind je nach Witterung innerhalb des Jahres mal länger oder weniger lang verfügbar. Was gerade Saison hat, erfährt man beim Besuch auf dem Wochenmarkt und dort erhält man in der Regel eh das frischeste und pranareichste Nahrungsmittel-Angebot.
Wichtige Ausnahme
Die saisonale Ernährung klappt immer bei gesunden Personen. Ist man jedoch erkrankt, akut oder chronisch, kommen andere Parameter hinzu. In dem Falle werden alle Zubereitungen, die heilsame Eigenschaften besitzen, priorisiert, unabhängig von den saisonalen Empfehlungen. Ist man wieder gesund, geht man zum saisonalen Zyklus zurück. Bei chronischen Erkrankungen ist es ideal, wenn man zusammen mit einem ernährungsaffinen Arzt oder Therapeuten eine Kombination aus saisonalen und individuell notwendigen Speisen aufeinander abstimmt.