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Medizin der Gegensätze: Die 20 Eigenschaften im Ayurveda

Gegensätze

Die ayurvedische Lehre liefert einige Werkzeuge, mit deren Hilfe man ohne umfangreiche Konstitutions- und Nahrungsmittel-Tabellen (und ohne Arzt oder Apotheker) sein Wohlbefinden eigenmächtig steuern kann. Eines dieser Tools ist das Prinzip der gegensätzlichen Eigenschaften.

Jeder Substanz in der Natur, jedem der 5 Elemente (Luft, Äther, Feuer, Wasser, Erde), den Jahreszeiten, den Nahrungsmitteln und auch uns als Person lassen sich Eigenschaften zuordnen, die wir unmittelbar fühlen und definieren können. Diese sog. Gunas (Sanskrit) oder Biocharakteristiken beschreiben grundlegende Qualitäten, die alles im Universum durchdringen. Zu jeder Eigenschaft gibt es auch das Gegenteil und über diese Pole kann eine ausgewogene Ernährung und ein gesunder Lebensstil gefördert werden, da sie das Gleichgewicht und die Harmonie im Körper aufrechterhalten.

 

Die 10 Eigenschaftspaare

Im ayurvedischen System haben sich 20 essentielle Eigenschaften herauskristallisiert, somit 10 entgegengesetzte Paare. Wann immer man etwas beobachtet, bei sich oder in der Natur, erforscht man die Qualitäten. Durch den Vergleich erkennen wir z.B. etwas als heiß oder kalt, trocken oder feucht, trüb oder klar, schwer oder leicht. Einen grünen, dichten Wald empfinden wir als feucht und kühl, in der Wüste spüren wir Hitze und Trockenheit. Fieber fühlt sich heiß und trocken an, eine Erkältung kalt, feucht und klebrig. Weizen ist schwer, feucht und kühlend, Gewürze sind meistens leicht, trocken und wärmend. Chilis erzeugen eine scharfe Erfahrung, während Gurken ein kühles Gefühl vermitteln. Butter ist ölig und weich, während Popcorn trocken und rau ist.
Wir können auch unseren aktuellen Körperzustand so beschreiben, z.B. „meine Beine fühlen sich schwer an“, „meine Haut ist trocken und rau“ (oder „feucht und ölig“), „mein Bauch ist brennend heiß“ oder „luftig“ usw.. Manches spüren wir sofort und intuitiv, für anderes müssen wir mehr in den Körper hineinhören und beobachten. Auf alle Fälle aber brauchen wir keine Tabelle mit Nährstoffgehalten zu studieren, die zwar der Kopf versteht, deren Wirkung aber nicht gefühlt werden kann.

 

 

Der therapeutische Wert der Eigenschaften

Die Zauberformel dieser Eigenschaftspaare für unsere Gesundheit lautet so:

      • Ähnliche Gunas verstärken sich gegenseitig (Gleiches erhöht Gleiches).
        Dies versucht man zu vermeiden.
      • Gegensätzliche Gunas gleichen sich aus oder beruhigen sich gegenseitig.
        Diesen Zustand strebt man an.

    Alles, was wir tun müssen: in sich hinein fühlen und die natürliche Beziehung zwischen Körper, Nahrung und Umwelt (Tages-/Jahreszeit, Temperatur etc.) miteinander verbinden. Intuitiv erkennen wir sofort, wenn ein Überschuss von ähnlich wirkenden Gunas uns aus der Bahn wirft. Und schon können wir das “Ausgleichsprogramm” starten, nämlich mit den gegenteiligen Attributen die Balance zurückholen. Dies wirkt wie Medizin und wird einfacher je mehr wir damit vertraut werden. Die Rückkopplung mit Intuition und Körpersignalen, die in der modernen Welt gerne mal verloren geht, ist einer der Schlüssel von stabiler Gesundheit. So wie man automatisch an einem kühlen Abend einen Pullover trägt, ohne darüber nachzudenken. Man macht es einfach intuitiv, es wird zur zweiten Natur.

    Einige Beispiele:

    Verwendet man an einem heißen Sommertag als „hitzige“ Natur scharfe Gewürze oder Alkohol, kann das Akkumulieren von heißen Substanzen zu entzündlichen Beschwerden führen. Als Ausgleich wären mild gewürzte, kühlende Speisen und viel Wasser genau das Richtige.

    Trinkt man ein kühlendes Kokoswasser im kühlen Herbst (falsche Jahreszeit) an einem kühlen Abend (falsche Tageszeit), muss man auf den Schnupfen nicht lange warten. An einem heißen Sommertag (richtige Jahreszeit) zum Sonnenhöchststand (richtige Tageszeit) wäre das Kokoswasser dagegen ein willkommener und ausgleichender Durstlöscher.

    In einer Lebensphase, in der sich Haut und Haare trocken und rau anfühlen, reduziert man Lebensmittel mit genau diesen Eigenschaften (Knäckebrot, Reiswaffeln, Popcorn etc.). Dafür gönnt man sich verstärkt Nahrung, die ölig und befeuchtend wirkt (z.B. suppige Eintöpfe, Pürees, eine Extraportion Ghee).

    Fühlt man sich schwer, verklebt und träge, sind schwere und ölige Gerichte keine gute Idee. Dafür wären Knäckebrot, Reiswaffeln, leichte Suppen und Speisen, mit wenig Öl zubereitet, perfekt.

    Wenn ein „leichter“, umtriebiger Mensch, der schnell mal friert, täglich grüne, kühlende und abbauende Smoothies trinkt, wird der Körper (zu) stark abgekühlt, die Erkältungsanfälligkeit nimmt zu. Warme Getränke und Suppen wären der erdende und wärmende Ausgleich für diese Personen.

    Eine Erkältung mit verstopfter Nase (schwer, kalt, klebrig) kann man mit einer hausgemachten Gemüsebrühe (leicht und flüssig) mit Ingwer, Pfeffer und Knoblauch (wärmend) lindern. So erhält die Nahrung einen therapeutischen Wert.

    Getreideflocken haben die Eigenschaften trocken, leicht, luftig. Für einen schweren Menschen ist das förderlich. Kocht man die Flocken zu einem weichen, warmen Brei und gibt noch etwas Ghee dazu, wirkt das ölend, hydrierend und befriedend, was für einen Menschen mit viel Luft sehr hilfreich ist.

    Kleiner Dislaimer: Das Ausgleichen von z.B. Vanilleeis mit heißen Himbeeren oder heißer Schokosauce fällt leider nicht in die Kategorie des gesunden Ausbalancierens.

    Die Powerpaare für unsere Ernährungsauswahl

    Für unsere Ernährung sind nicht alle 10 Paare relevant, doch die dominantesten 4 gehören als Basis in die tägliche Nahrungsmittelauswahl.

    Schwer, dicht
    schwer verdaulich, baut Gewebe auf, nährend, wachstumsfördernd, regenerativ
    z.B. schwere Nahrungsmittel, Fleisch, viele Milchprodukte, Weizen, Zucker

    Leicht
    leicht verdaulich, reduziert Gewicht und Ama, baut Gewebe ab, klärt Gefäße, fördert klares Denken
    z.B. Reiswaffeln, Getreideflocken, Blattgemüse, Mungdal, Obst, Brühe

    Kalt, kühlend
    kühlt, reduziert Verdauungskraft, verstopfend, schweißhemmend
    z.B. Weizen, Milch, Gurken, kalte Getränke, Eis, Minze, Rohkost, Sandelholz,  Koriander, Kokosnuss

    Warm, heiss, wärmend
    erwärmt/erhitzt, verdauungsfördernd, blähungstreibend, schleimlösend
    z.B. Ingwer, Chilies, Knoblauch, Langpfeffer, Meerrettich, Alkohol, Fermentiertes, Eier, Paprika

    Ölig, feucht
    schwer verdaulich, schmiert die Gewebe, ölend, nährend, befeuchtend, weich
    z.B. Nüsse, Samen, Butter/Ghee, Öle, Avocado, Oliven, Fisch, Frittiertes

    Trocken
    austrocknend, baut Gewicht/Gewebe ab, verstopfend, absorbierend, entwässernd
    z.B. Hirse, Gerste, Mais, Getreideflocken, Knäckebrot, Cracker, Trockenfrüchte, Schwarztee/Kaffee, große Bohnen

    Langsam, träge, dumpf
    verlangsamt Verdauung, beruhigt, macht träge, baut Gewebe auf, blockiert Kanäle,
    z.B. Fett, Fleisch, Joghurt, Tofu, Hüttenkäse, frittierte Speisen, überessen

    Schnell, scharf, penetrierend
    geht tief und sofort in Körper & Geist, schweißtreibend, ausleitend, reinigend, appetitfördend,
    z.B. scharfe Substanzen, Chili, Senf, Essig, Ingwerpulver,  Alkohol, Meerettich, Wasabi

     

    Der Vollständigkeit halber hier noch die 6 weiteren Paare, die eher im medizinischen Kontext eine tragende Rolle spielen:

    glatt, schleimig, klebrig rau
    fest, dicht, zähflüssig flüssig, wässrig
    weich hart
    stabil, unbeweglich instabil, beweglich
    massig, grob subtil, fein
    trüb, schleimig klar

    Auf- und abbauende Eigenschaften

    Als Nebeneffekt der oben beschriebenen Eigenschaften von Nahrungsmitteln entstehen die 2 Kategorien aufbauend (linke Spalte) und abbauend (rechte Spalte).
    Aufbauende Eigenschaften gelten als anabolisch, sie bauen das Gewebe auf, stärken, stabilisieren und nähren sehr gut. Aufbauende Speisen stärken auch den Geist und das Nervensystem. Wir nennen diese Nahrung auch Wohlfühlessen, Comfort food oder
    Nervennahrung. Warme, weiche Gerichte, Haferporridge, Milch sind typische Beispiele dafür.
    Abbauende Eigenschaften gelten als katabolisch, sie reduzieren Gewebe, wirken austrocknend und erleichternd, eliminieren überschüssige Feuchtigkeit und Schleim, beleben und erfrischen. Abbauende Speisen sind z.b. Gedämpftes Gemüse, Blattgemüse, klare Suppen, frische Früchte, Zitronenwasser.

    Auch hier wird ein relatives Gleichgewicht angestrebt, damit die Körperprozesse gut funktionieren und der Mensch sich ausgeglichen fühlt. Ein gutes Verhältnis liegt bei ca. 60:40 (aufbauend:abbauend). Das kann sich jahreszeitlich leicht ändern, z.B. im Frühling präferiert man abbauende Eigenschaften, im Herbst eher aufbauende.

     

     

    Fazit

    Das Hineinspüren in die Eigenschaften von Nahrungsmitteln in Verbindung mit den Zeitqualitäten (Tages-/Jahreszeit), den aktuellen thermischen Gegebenheiten (kalter/warmer Tag) und dem derzeitigen Körpergefühl bietet einen starken Regelmechanismus für Gesundheit und Wohlbefinden. Man ist relativ schnell “drin” in diesem Gunasystem und es ist einfach umzusetzen. Ein schöner Nebeneffekt: man ist sehr mit sich verbunden, was sich einfach super befriedigend anfühlt.

     

    Foto von Timon Studler auf Unsplash

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