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Flexi, Pesci, Veggie oder Vegan?

ernährungstipps

In unserem strukturverliebten Schubladendenken gab es bisher Allesesser (Omnivoren) und Vegetarier. Heute steht da ein ganzes Schubladenregal, mit lustigen Wortkombinationen etikettiert. Da gibt es den Pescitarier, der sich hauptsächlich von Gemüse und Fisch ernährt. Oder den Flexitarier, der seiner  überwiegend vegetarischen Ernährung ab und an Fleisch und Fisch zufügt. Das wiederum geht nicht bei den Veganern, die nicht mal vom lebenden Tier etwas zu sich nehmen, also auch nicht Butter, Milch, Eier, Honig usw.. Dies ist die in den Medien derzeit aufmerksamkeitsstärkste Gruppe. Eine neuere Welle, die aus Kalifornien, Bali und anderen wellnessorientierten Regionen dieser Welt anrollt sind die vegetarischen raw foodies, wie sich die Zeitgeist-Röhköstler nennen.

Die ayurvedische Sicht

Oft werde ich gefragt, welche Ernährungsweise den ayurvedischen Prinzipien am meisten nahekommt. Es gibt dazu jedoch keine Regeln oder Präferenzen, da alles Einengende, reduzierende nicht dem individuellen Ansatz dieses Systems entspricht. Bis auf einige Hinweise auf sehr ungesunde Ernährungsformen, kann man frei entscheiden, was man seinem Körper als „Treibstoff“ zuführen möchte. Am ehesten gilt der Grundsatz, dass man sich ein Wissen über die Nahrungsmittel  aneignet und dann mit Weisheit entscheidet, das zu essen, was individuell leicht verdaut werden kann, den Körper gut nährt, den Geist klar macht und vor allem gut schmeckt. Unweise ist entsprechend alles, was schwer im Magen liegt, den Geist dumpf macht und zu Beschwerden im Körper führt. Trotzdem ist genau das die Ernährung, die man bei uns scheinbar am meisten verzehrt (Massengastronomie und Fertiggerichte).

In den alten Texten werden alle Nahrungsmittelgruppen beschrieben mit ihren Vorteilen und Nachteilen. Fleisch umfasst ein besonders langes Kapitel, wurde es damals (wie heute) sehr oft medizinisch und zur generellen Stärkung verwendet. Daneben werden Ghee (ausgelassene Butter), Milch und Honig sogar als „Nektar“ angesehen.

Viele Beschreibungen decken sich mit dem Essverhalten und der Lebensmittelwahl unserer Mütter und Großmütter. Traditionelle Ernährung, die sich an der Region und Kultur orientiert, in der man sich gerade befindet, ist also selten verkehrt. Wenn man dazu die Prinzipien von Qualität, Saison, und Kombinationen beachtet, ist man in allen o.g. Ernährungsformen beheimatet mit Ausnahme von raw food. Offene Regale – ohne Schubladen.

Die Offenheit und Flexibilität des Systems beinhaltet, dass man auch überregionale Lebensmittel, die den o.g. Kriterien entsprechen, hinzufügen kann, sofern man will. Sei es aus Gründen der größeren Vielfalt (alle Kokosprodukte, Chiasamen, Quinoa, Ingwer, Tamari, Nori uvm.), oder weil diese z.B. in anderen Kulturkreisen als Heilmittel gelten (Umeboshi, Kuzu, Shitakepilze, Mungbohnen).

Gepaart mit exotischeren Würzmischungen (z.B. äthiopisches Buttergewürz, Ras-El-Hanout, Za’atar, Safran, Curry in allen Varianten, südafrikanische Spice Rubs uvm.) entstehen anregende Düfte und abwechslungsreiche Speisen, die dem Körper und der Seele gut tun.

Veganismus und Ayurveda

Es ist ein gefühlter Megatrend. Bei Hugendubel in München stehen bei jedem Besuch gefühlt immer 5 neue vegane Kochbücher auf dem Präsentiertisch. Neben maximal einer vegetarischen Neuerscheinung.

Im Monatsrhytmus steigen Freunde oder Bekannte auf diesen Zug auf. Einige Auftraggeber buchen mich unter der Prämisse, dass ich vegan koche. Und viele Klienten fragen, wie das nun zusammenpasst mit Ayurveda und Veganismus.

Vegane Ernährung würde im ayurvedischen Screening eher durchfallen. Zu eng gedacht, zu restriktiv und vor allem der Ausschluss von Heilsubstanzen (Milch, Honig, Ghee) stehen den Prinzipien der Vielseitigkeit konträr gegenüber. Ebenso dem Grundsatz, dass die Nahrung so vollständig sein soll, dass keine Supplementierung durch Pillen, Ampullen, Pülverchen etc. nötig ist.

Enge, dogmatische Ernährungsformen sind für den Körper anstrengend, aber noch mehr für den Geist. Vegane Bücher, die den Eindruck vermitteln, dass alle Menschen, die Tier- und Milchprodukte zu sich nehmen, davon Krebs bekommen könnten, kann ich nicht nachvollziehen. Bzw. wundere mich, dass bei über 1 Mrd. Inder, die täglich Milch und in vielen Regionen auch Fleisch (Nordindien) und Fisch (Küstenregionen) verzehren, eine wesentlich niedrigere Krebsrate herrscht als bei uns im Westen.

Nichts desto trotz ist die vegetarisch ausgerichtete ayurvedische Küche weitgehend tierproduktefrei. Zum einen aus der Erfahrung, dass Milch und viele Milchprodukte in Kombination mit anderen Lebensmitteln inkompatible Kombinationen ergeben und antagonistisch auf die Gewebe wirken können. Zum anderen, weil alle Milchprodukte das Essen schwer machen. Und somit den Esser. Nur in einigen westlichen Ayurveda-Kochbüchern wird munter mit Sahne gekocht, was der Lehre komplett widerspricht.

Fleisch und Eier werden nicht ausgeschlossen, aber auch nicht favorisiert. Da Honig nicht erhitzt werden soll, kommt er in gekochten Gerichten nicht vor. Durchaus aber in kleinem Umfang in Süßspeisen oder aufs Brot.

Wenn man vegane Küche so denkt, dass man sich auf traditionelle Rezepte, die immer schon ohne Tierprodukte auskamen, fokussiert, wird diese Ernährung sehr leicht anwendbar. Zum einen haben sich diese Rezepte lange bewährt, zum anderen muss man nicht „umdenken“, d.h. überlegen, wie man was mit was ersetzt. Vor allem asiatische und orientalische Länderküchen haben sehr viel in dieser Richtung parat, aber auch bei uns wurde nicht immer alles mit Sahnesaucen und Käse zugepappt.

Ein weiterer Ansatz für vegane Ernährung ist die vegetarische 5-Elemente-Küche der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Gerne koche ich mit den vegetarischen Rezepten der Wiener Suppito-Kochbücher, die auf diesem System aufgebaut sind. Das Wort vegan kommt da glaub ich gar nicht vor.

Diese Formen kommen dem ayurvedischen Verständnis von Ernährung sehr nahe.

New School Vegan

Ich nenn das nun einfach mal so, diese Neuerfindung der veganen Küche, die gerade sehr en vogue ist. Sie fokussiert stark auf Soja, Tofu, Seitan, Nussmuse und Ersatzprodukte, ohne den Kontext der Lebensmittel in ihrer Kombinationswirkung zu verstehen. Einige reduzieren dazu auch den Getreideanteil, was eine Schieflage in der Nährstoffvielfalt nach sich zieht.

Für meine letzte Kochsession in Wien war ich in Marans veganem Supermarkt einigermaßen verwirrt über die Riesenauswahl an verarbeiteten Soja- und Tofuprodukten in allen Geschmacksrichtungen. Obwohl ich ab und an Tofugerichte liebe (und dafür ausschließlich Naturvarianten verwende), scheint es mir fremd, dass das jemand anderer für mich „vorwürzen“ sollte. Es erinnert mich zu sehr an konventionelle Supermarktware.

Die große Anzahl inzwischen verfügbarer pflanzlicher „Milch“produkte (Mandelmilch, Hafermilch, Dinkelmilch, Sojamilch, Reismilch) sehe ich dagegen eher als eine Bereicherung, denn man kann sie selber herstellen, wenn man will. Mir hilft dabei diese  Küchenmaschine.

Die weitere Verarbeitungsstufe in Richtung sahniger/käsiger Ersatzprodukte ergibt dann wieder hochverarbeitete Lebensmittel, das in ihrer Zusammensetzung keinem „Reinheitsgebot“ entsprechen.

Aus ayurvedischer Sicht sind diese zum Teil künstlichen Lebenmsittel fremd für den Körper und auf mittlere Sicht für die Verdauung eher belastend. Ich warte auf die erste Sojasahne-Intoleranz-Diagnose… 😉

Tierliebe

Viele Menschen beschäftigen sich erst seit kurzem mit veganer Ernährung aus Gründen des Tierschutzes, was im Zeitalter der Massentierquälung eine sehr weise Reaktion ist, da die daraus entstehenden Produkte absolut minderwertig sind.

In alten asiatischen Texten wird das Verhältnis Mensch-Tier-Pflanze hierarchisch dargestellt. Jede Stufe ist dazu bestimmt, die nächst höhere Spezies zu nähren. Diese Nährkette funktioniert jedoch nur dann, wenn sie nicht auf Ausbeutung gegründet ist.

Man sagt über die Kuh, dass sie 2 Zitzen hat für die Nahrung des Kalbes und 2 für die Nahrung des Menschen.

Die Haut eines getöteten Tieres für Lederwaren zu verwenden gilt als korrekt im Gegensatz zum Töten eines Tieres UM Lederwaren aus der Haut herzustellen. Produkte eines Tieres zu verwenden, das dafür nicht sterben muss (Wolle, Eier, Honig) ist ebenfalls Teil des Austausches, sofern dies respektvoll passiert.

Diese Sichtweise schließt für mich ein, die Milch einer „Demeter“-Kuh, die im Idealfall ein gutes Leben hat, zu trinken. Oder den Honig vom Bioimker am Ort zu verwenden. Oder die Buttermilch vom Bio-Bauern im nächsten Dorf, man kann das weiterspinnen auf vielen Ebenen.

Es gibt sehr viele „Schnupperveganer“, habe ich festgestellt. Wenn jemand von hohem Fleischkonsum über den veganen Ansatz irgendwann zu vegetarischer (oder flexitarischer) Ernährung findet, dann ist jeder Weg dahin wertvoll.

Karen Duve Anständig essen BuchtitelWer vegane Ernährung ausprobieren möchte, findet sehr wertvolle Gedanken in dem lesenswerten Buch von Karin Duve: Anständig essen.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Matthias

    Hallo Daniela,

    danke für den ausgewogenen Text.
    Der Umstand, dass Menschen schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden ihre Umgebung kultivieren, die heutigen Nutztierrassen eben in eine bestimmte Richtung gezüchtet sind, sich optimal an Kulturlandschaften angepasst haben und Kulturlandschaften an sie – das ist etwas, das bei aller Liebe und allem Willen zur Umkehr beachtet werden sollte.
    Gerade die alten, noch nicht auf industrielle Überproduktion hin gezüchteten und leider oft gefährdeten Arten der Nutztiere können sehr harmonisch ihrem Ökosystem dienen, ebenso wie Menschen ihnen dienen können und ich denke nicht, dass ein Geben und Nehmen für die Tiere schlecht sein muss. Im Gegenteil: Schutz vor Fressfeinden, Parasiten, Pflege,… die Nutztierhaltung kann – muss nicht, aber kann eben – eine hohe, hohe Kunst sein, wie alle Formen von Kultur und Gesellschaft. Gleichzeitig verstehe ich das vegane Anliegen und vielleicht ist es ja tatsächlich sogar noch edler – aber eben nur mit Bedacht…

    Matthias